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Arnold Kegel: Vom Erfinder des Beckenbodentrainings in die Moderne

Palpation im Bereich der Beckenbodenmuskulatur.

Arnold Kegel ist der Erfinder und Urvater des Beckenbodentrainings. Bereits Mitte des 20. Jahrhunderts führten seine Forschungen zu bahnbrechenden Erkenntnissen im Bereich der Gynäkologie.

  • Arnold Henry Kegel (1894-1972) war ein US-amerikanischer Gynäkologe und gilt als Pionier des Beckenbodentrainings.
  • Kegel ist der Erfinder des Perineometers, eines Instrumentes zur Messung der Kontraktionen der Beckenbodenmuskulatur. 
  • Seine Ergebnisse, die das Beckenbodentraining bis heute bestimmen, veröffentlichte Kegel erstmals im Jahr 1948. 

 

Arnold Kegel: Der Erfinder des Beckenbodentrainings

 

Arnold Kegel nämlich, im Jahr 1948 Assistenzprofessor der Gynäkologie an der University of Southern California School of Medicine, war es, der als Pionier auf dem Gebiet der Erforschung der Muskulatur im Beckenbereich die bahnbrechende Arbeit „Eine nicht-chirurgische Methode zur Erhöhung der Spannkraft der Schließmuskeln und ihrer Stützstrukturen“ veröffentlichte.

Seine Grundlagenforschung, der er 18 Jahre widmete, veränderte die Grundlagen der Gynäkologie und gab den Patientinnen eine Anleitung an die Hand. So half Kegel Millionen von Frauen, ihren Beckenboden zu erspüren und zu trainieren. Zunächst beschäftigte sich Arnold Kegel mit dem medizinischen Phänomen, dass zumeist sechs Monate nach einer Rückbildungsoperation mit dem Ziel eines engen und langen Vaginalkanals nach einer Schwangerschaft das Gewebe, vor allem das Perineum, also der Damm zwischen After und Vagina, wieder schwach und dünn zu werden begann.

Kegel war sich mit der Fachwelt darin einig, dass geeignete Übungen die Funktion und Spannkraft gedehnter und schwindender Muskulaturen wiederherstellen können. Und so stellte er die Frage in den Raum, ob es demnach nicht auch möglich sein muss, durch aktives Training die anatomischen Beziehungen der Beckenstrukturen wiederherzustellen, von denen die Unterstützung verschiedener Muskelgruppen so stark abhängen.

Schnell rückte ein Muskel in den Mittelpunkt, der zuvor von Anatomen, Geburtshelfern und Gynäkologen gleichermaßen weitgehend übersehen wurde - der Musculus pubococcygeus, kurz PC. Dieser Schambein-Steißbein-Muskel blieb in der Medizin lange unbeachtet, da Chirurgen bei ihren Rückbildungsoperationen zumeist gar nicht erst auf diesen Muskel stießen.   

Kegel fand in einer breit angelegten Studie heraus, dass der Musculus pubococcygeus der vielseitigste Muskel im gesamten menschlichen Körper ist. Es trägt zur Unterstützung und Kontrolle aller Eingeweide des Beckens und der Schließmuskeln bei und ist entscheidend für die Aufrechterhaltung der Spannkraft der Muskulatur im Beckenboden.

 

Arnold Kegel prägt das Beckenbodentraining mit den Kegel-Übungen bis heute

 

Schnell entdeckte Kegel die Ursächlichkeit einer eingeschränkten Funktion des Musculus pubococcygeus für eine Harninkontinenz, aber auch für eine Vorwölbung der Harnblase in die vordere Vaginalwand, bekannt als Zystozele, sowie für eine Gebärmuttersenkung. Bestätigt wurde der amerikanische Gynäkologe in dieser Annahme durch den Erfolg der nicht-chirurgischen Behandlung dieser Zustände, bei der die allgemeinen Prinzipien des Muskelaufbaus und der Widerstandsübungen auf den Musculus pubococcygeus als zentrale Struktur der Beckenmuskulatur angewendet wurden.

Kegel benannte eine „spezifische Muskelerziehung“ als Ziel und den Muskelaufbau als ersten und wichtigsten Schritt in der Therapie. Doch vor diesem Muskelaufbau stand und steht ein angemessenes Bewusstsein für die Funktion des Musculus pubococcygeus als Dreh- und Angelpunkt der Schließmuskeln und aller unterstützenden Strukturen des Beckens. Das Beckenbodentraining war als elementares Hilfsmittel entdeckt.

Seither ist der Name Kegel in den USA untrennbar mit Übungen für die Muskulatur im Beckenbereich verbunden, das geflügelte Wort „do the Kegels“ ist aus dem Sprachgebrauch von Gynäkologen, Physiotherapeuten und Urologen nicht mehr wegzudenken. Aber woher genau kommt die Redewendung „mach die Kegels“? Wir erklären es.

 

Wie Kegel den Beckenboden vor über 70 Jahren wieder fit machte

 

Als ersten und wichtigsten Schritt in der Therapie des Beckenbodens und schließlich auch einer Inkontinenz benannte Kegel die „Muskelerziehung“. Diese zielt darauf ab, ein angemessenes Bewusstsein für die Funktion des Musculus pubococcygeus, des „Schambein-Steißbein-Muskel“ zu schaffen, welchen er als „Dreh- und Angelpunkt aller unterstützenden und sphinkterischen Strukturen des Beckens“ bezeichnete.

Als ersten Schritt der Funktionsuntersuchung definierte Kegel die Beobachtung, ob seine Patientinnen in der Lage dazu waren, ihren Damm durch „freiwillige Anstrengung“ zurückzuziehen, hochzuziehen und einzuziehen. Um diese Fähigkeiten festzustellen, ertastete der Mediziner die Kontraktionen der Muskulatur im Inneren der Vagina und forderte die Probandinnen dazu auf, ihre Muskulatur fest zusammenzuziehen. Währende „normale Patientinnen“ diese Aufforderung sofort umzusetzen in der Lage waren, zeigten andere Schwierigkeiten und gaben an nicht zu wissen, wie sie ihre Vaginalmuskulatur zusammenziehen könnten.

Kegel stellte fest, dass etwa ein Drittel der untersuchten Patientinnen nicht oder nur ungenügend dazu in der Lage war, den Musculus pubococcygeus auf Anhieb („willkürlich“) zusammenzuziehen. In diesem Fall wandte Kegel die Palpation, also das Betasten, angrenzender Muskeln an. Sei Ziel war es, Muskeln zu finden, welche die Probandinnen bereits bewusst ansteuern konnten. Ausgehend davon wurden die Kontraktionen des angrenzenden Muskels so lange fortgesetzt und variiert, bis der Musculus pubococcygeus selbst von den Muskelbewegungen betroffen war.

Da nur durch häufige Wiederholung aktiver Kontraktionen des Musculus pubococcygeus therapeutische Ergebnisse zu erwarten sind, beschrieb Kegel den Patientinnen anhand von Muskelfunktionen, die ihnen bereits bekannt waren, Wege, wie sie auch ihren Musculus pubococcygeus bewusst ansteuern konnten.

Etwa 75 Prozent der Probandinnen reagierten nach 10 bis 20 Minuten auf Kegels Einweisung. In anderen Fällen war laut Kegel Geduld erforderlich, weswegen die Anweisungen in wöchentlichen Abständen, gelegentlich über einen Zeitraum von mehreren Monaten, wiederholt werden mussten, bevor die Patientinnen lernten, ihren Musculus pubococcygeus bewusst zusammenzuziehen. In Ausnahmefällen scheiterte der Versuch, ein Funktionsbewusstsein herzustellen, gar komplett. Kegel führte dies „in der Regel“ auf begleitende Läsionen des zentralen Nervensystems zurück.

 

Kegel brachte Frauen bei, ihre Beckenbodenmuskeln zu spüren und anzuspannen

 

Kegel fand heraus, dass die wenigsten Frauen, denen die Funktion des Musculus pubococcygeus zunächst nicht bewusst war, nach ihrer Einweisung in seiner Praxis zu Hause die Kontraktionen des Muskels korrekt fortsetzen konnten. Da sie nicht in der Lage dazu waren, ihre Muskulatur durch übliche Reflexe zu koordinieren, schlussfolgerte Kegel, dass es notwendig sei, einen Zusammenhang zwischen den Kontraktionen des Musculus pubococcygeus und dem Sehsinn herzustellen.

Außerdem neigten viele seiner Patienten dazu, entmutigt aufzugeben, solange ihnen nicht die Möglichkeit gegeben wurde, ihre Bemühungen unter visueller Kontrolle zu wiederholen und dabei eventuell erzielte Fortschritte zu notieren. Als „einfaches, direktes und zuverlässiges Mittel“ zur Überwindung dieser Schwierigkeiten erfand Kegel den Perineometer.

Mit dem Perineometer revolutionierte Arnold Kegel die Erforschung des Beckenbodens und hob das Training der Beckenbodenmuskulatur auf ein neues Level. Mit seinem Instrument zur Messung der Stärke willkürlicher Kontraktionen der Beckenbodenmuskulatur wurde es möglich, den Druck der Muskulatur in der Vagina zu bestimmen und das Training zielgerichtet zu justieren. Doch das Einführen des Perineometer war und blieb für die meisten Anwenderinnen eine unangenehme Prozedur. Diese Praxis gehört heute einer vergangenen Zeit an.

Neben der visuellen Kontrolle ermöglichte dieses Instrument die Kontraktion der perivaginalen Muskulatur gegen Widerstand. Widerstandsübungen dieser Art hatten sich gemäß Kegel in allen Bereichen der Muskeltherapie zur Korrektur von Nichtgebrauchsatrophie und zur Wiederherstellung der normalen Funktion als am effektivsten erwiesen.

Sein Ziel war es, anhand dieser Widerstandsübungen den Musculus pubococcygeus in all seinen Komponenten zu stärken, insbesondere die winzigen Endfasern, die bei genitaler Entspannung verkümmert waren. Dieser Muskel sei „keiner anderen therapeutischen Maßnahme zugänglich“, befand Kegel. Auch sei seine Funktion selten durch chirurgische Eingriffe zu verbessern.

Anstatt also operativ einzugreifen, entwickelte Kegel leicht erlernbare Übungen, mit welchen die Patientinnen bequem von zu Hause aus Erfolge erzielen konnten – er erfand also das Beckenbodentraining, und die nach ihm benannten Kegel-Übungen.

Die Kegel-Übungen helfen im Gegensatz zu den üblichen Trainingseinheiten in den Fitness-Studios nicht, besser auszusehen. Aber sie können helfen, sich besser zu fühlen und unangenehme Alltagssituationen oder gar Operationen zu vermeiden. Eine trainierte Beckenbodenmuskulatur stützt die Blase und kann einen großen Beitrag zur Verhinderung einer Inkontinenz leisten. Um den Beckenboden effektiv zu trainieren, ist es zunächst unverzichtbar, die Beckenbodenmuskulatur zu erfühlen. Wie das geht, zeigen wir Dir hier für Frauen und hier für Männer.

 

Kegel ist der Erfinder des Beckenbodentrainings – aber die Zeiten ändern sich

 

Um Millionen von Frauen zu helfen, bediente sich Kegel zunächst also seinem Perineometer. Damit erzielte er die gewünschten Erfolge, viele Frauen schreckten allerdings davor zurück, Im Fall einer untrainierten Beckenbodenmuskulatur mit all ihren Folgen wie einer Harninkontinenz die Hilfe eines Frauenarztes aufzusuchen und sich das Gerät vaginal einführen zu lassen.

Eine verpasste Chance, schließlich stellte Kegel fest, dass in seiner Forschungsreihe 84 Prozent der untersuchten 212 Patientinnen, von denen die meisten zuvor einen oder mehrere erfolglose chirurgische Eingriffe zur Linderung einer Inkontinenz unterzogen hatten, per physiologischer Therapie eine schwere Belastungsinkontinenz überwanden. Ihnen war es anschließend möglich, auf Hilfsmittel wie Damenbinden komplett zu verzichten. In einigen Fällen kam es beispielsweise nach schwächenden Erkrankungen und längeren Hustenanfällen zu Rückfällen, die jedoch in der in der Regel durch die Wiederaufnahme von Widerstandsübungen nach einigen Wochen wieder unter Kontrolle gebracht werden konnten.

Während tatsächlich alle Fälle einer einfachen Harn-Stress-Inkontinenz durch ein angeleitetes Erspüren diese „spezifische Muskelerziehung“ gelindert werden konnten, trat bei 16 Prozent der Patientinnen mit schwerer Harn-Stress-Inkontinenz eine nur teilweise Linderung bis hin zu einer nicht erfolgten Besserung auf. Diese Ausfälle führte Kegel auf lokale oder allgemeine Komplikationen, wie etwa im Anschluss an einen chirurgischen Eingriff, zurück.

Der technologische Fortschritt macht es jedoch heutzutage möglich, die Kontraktionen der Beckenbodenmuskulatur angenehm per externem Sensor zu messen, der nicht mehr länger in den Körper eingeführt werden muss – ein Quantensprung. Während Kegel mittels Luftverdrängung erzeugt durch die Kontraktion Beckenbodenmuskulatur Messungen vornahm, geben Apps heute direkte Anweisungen.

Mittels individueller Vorgaben durch speziell entwickelte Apps ist es möglich, Schnellkraft, Ausdauer und Koordination zielgerichtet zu steuern. Die erhobenen Daten, welche an die App mittels Sensor zurückgesendet werden, ersparen nicht selten den Arztbesuch. Die Vorteile liegen auf der Hand: Das zielgerichtete, wissenschaftlich unterstütze Training spart Zeit und Nerven – und führt gleichzeitig zu einem besseren, individuelleren Ergebnis des Beckenbodentrainings.

 

Dank Kegel: Das sind die Erfolge des Beckenbodentrainings

 

Bei Patientinnen, die richtig und ausdauernd trainieren, treten gemäß Kegel folgende fortschreitende Veränderungen auf:

  • Die Herstellung eines Bewusstseins für die Funktion des Musculus pubococcygeus
  • Ein leichter und allmählicher Anstieg der anfänglichen manometrischen Messwerte von 1 bis 5 Millimetern, hochgehend bis zu einer Höhe von 20 bis 40 Millimetern oder mehr
  • Nachweisbare Muskelkontraktionen in Bereichen, in denen zuvor keine nachgewiesen werden konnten, insbesondere im vorderen und seitlichen Quadranten der Vaginalwand
  • Anfangs schwache und unregelmäßige Kontraktionen des Musculus pubococcygeus werden stark und anhaltend
  • Eine Verbesserung des Tonus und der Textur aller muskulofaszialen Gewebe des Beckenbodens und des Beckenausgangs
  • Eine erhöhte Masse des Musculus pubococcygeus und seiner viszeralen Erweiterungen
  • Veränderungen der Position von Perineum, Introitus, Harnröhre, Blase, Gebärmutterhals und Uterus im Verhältnis zu einer Ideallinie zwischen Os pubis und Steißbein
  • Ein längerer und engerer Vaginalkanal
  • Verbesserung in Tonus und Festigkeit zuvor erschlaffter Scheidenwände
  • Eine geringere Ausprägung einer Vorwölbung der vorderen Scheidenwand (oft als mittelschwere Zystozele diagnostiziert)
  • Eine Zurückbildung eines Prolaps eines frei beweglichen Uterus und ein Anstieg des Cervix bis zu einer Höhe von fünf bis sieben Zentimetern
  • Stützpessare, die zehn oder mehr Jahre getragen werden, können in der Regel ohne Beschwerden entsorgt werden
  • Die Möglichkeit, kleinere empfängnisverhütende Diaphragmen eingesetzt zu bekommen, wo vorher größere Diaphragmen verrutscht sind

 

 

Dieser Beitrag wurde am 04.08.2021 von ACTICORE veröffentlicht.